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Nordostpassage: Das Eismeer als Abkürzung nach Asien?

Maersk schickt erstmals ein Containerschiff durch die Nordostpassage

Ende August 2018 gaben Sprecher der weltgrößten Reederei eine vielversprechende Testfahrt bekannt: Die „Venta Maersk“ soll vom südkoreanischen Busan aus starten und über die Nordostpassage zwischen russischer Küste und Nordpol nach St. Petersburg gelangen. Laut Maersk werde das Schiff Ende September an seinem Zielort erwartet. Seine Fracht besteht aus südkoreanischer Technik und tiefgekühltem Fisch aus Russland. Gegenüber der klassischen Route von Asien nach Europa, die südwestwärts durch den Suezkanal verläuft, hofft Maersk, etwa 30 Prozent der Fahrtzeit einzusparen. Wichtiger als der schnelle Transport der Waren ist der Reederei, beim kommenden Testlauf ein Bild der möglichen Schwierigkeiten im Eismeer zu erlangen. „Die Versuchspassage erlaubt es uns, die operative Durchführbarkeit von Containerschifffahrt durch die Nordostpassage zu untersuchen und Daten zu sammeln“, ließ Maersk verlauten, als kommerzielle Alternative zu den bestehenden Netzwerken betrachte man die Nordostpassage jedoch noch nicht.

Havarien im Eis – vor einigen Jahrzehnten an der Tagesordnung

Den Traum, im hohen Norden einen Seeweg nach Asien zu finden, hegten bereits Kaufleute und Seefahrer im 15. Jahrhundert. Bis tatsächlich ein Schiff die Nordostpassage bewältigte, sollten jedoch Jahrhunderte vergehen: Erst 1879 gelang dies dem Schweden Adolf Erik Nordenskiöld – allerdings war der Kapitän gezwungen, mit seinem Schiff „Vega“ im Packeis zu überwintern.

Noch im 20. Jahrhundert bereitete die Strecke den Schiffen, die sich auf den Arktischen Ozean wagten, große Probleme: Im Jahr 1983 blieben mehrere Konvois mit mehr als 50 Schiffen im Eis stecken, wobei einer der Frachter sank. Die komplizierte Rettungsaktion nahm mehrere Wochen in Anspruch.

Experten bewerten die Route noch immer als extrem aufwendig. Ohne die Absicherung durch begleitende Eisbrecher und Schleppschiffe beinhaltet die Fahrt große Risiken. Das Treibeis türmt sich vor dem Schiff auf und verbindet sich in der Kälte rasch wieder zu einer geschlossenen Eisdecke. Diese zu durchbrechen, ist für ein normales Frachtschiff praktisch unmöglich. Schiffe mit hoher „Eisklasse“ wie die Venta Maersk sind deshalb in ihrer Konstruktion auf die widrigen Umweltbedingungen ausgelegt.

Freie Passage durch die Eisschmelze

Der heiße Sommer 2018 brachte mit zahlreichen Trockenheitsbränden nicht nur bedrohliche Umweltphänomene, sondern eröffnet der Schifffahrt neue Möglichkeiten. Das Schmelzen des Polareises maximiert aktuell die Chancen für ein erfolgreiches Befahren der Nordostpassage. Diese Entwicklung ist kein Novum: Bereits seit der Jahrtausendwende ermöglichte das zurückweichende Eis immer häufiger die ungestörte Durchfahrt zwischen Arktis und russischer Küste. Zunächst nutzten nur Fischtrawler und kleinere Frachtschiffe die sich bietende Option, bis auch Massengutschiffe für Öl und Gas den Weg durch die nördlichen Seewege wählten.

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Weitere Informationen

Schließlich gelang im Februar 2018 dem Tanker „Eduard Toll“ eine statistisch gesehen „historische Erstfahrt“ von Südkorea über die Nordostpassage bis nach Frankreich. Für den 300 Meter langen und 50 Meter breiten Frachter sahen Fachleute den Weg durchs Eismeer in der kalten Jahreszeit bislang als unmöglich an. De facto konnte der Kapitän gegenüber der Suez-Route 3000 Seemeilen (5556km) einsparen.

Weniger Emissionen im Schiffsverkehr – dem Klimawandel sei Dank?

Während die eisfreie Saison früher lediglich 2 Monate lang andauerte, können Reedereien aktuell mit einer Navigationsperiode von mindestens 5 Monaten kalkulieren. Proportional zur besseren Befahrbarkeit stieg auch die Anzahl der über die Nordostpassage transportierten Güter: Wo 2010 lediglich 4 Schiffe im Jahr 111.000 Tonnen Fracht transportierten, wuchs die Menge nach russischen Angaben 2017 auf 10 Millionen Tonnen Ladung an. Für 2022 rechnen Experten von einem Transit von etwa 40 Millionen Tonnen.

Ironischerweise helfen bei der Nordostpassage die durch den Klimawandel veränderten Umweltbedingungen den Reedereien beim Treibstoffsparen. Etwa ein Drittel der Reisedauer lässt sich einsparen, was den Emissionsausstoß der Seereise deutlich senkt.

Dennoch bestehen Bedenken von Umweltverbänden, die in der Ölverschmutzung durch den Verkehr Gefahr für die regionalen Ökosysteme sehen. Forderungen nach einer Geschwindigkeitsbegrenzung werden laut, um zu verhindern, dass Frachter etwa mit Walen kollidieren.

Russlands treibt die Öffnung der nördlichen Seewege voran

Allen voran forciert Russland aus geostrategischem Interesse die Öffnung der Nordostpassage für den Handel. Da die Passage nur in warmen Monaten befahrbar ist und entlang der Route wenige Häfen und interessante Märkte existieren, sehen Fachleute sie aktuell noch nicht als Alternative zu anderen Strecken an. Eine Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts schlussfolgert, dass sich dies ändern wird, sobald die Erderwärmung weiter voranschreitet. Mit einiger Wahrscheinlichkeit, so die Forscher, werden die Nordost- sowie die Nordwestpassage Mitte des Jahrhunderts ganzjährig befahrbar sein. Als Konsequenz erwarten die Experten sinkende Kosten für Transporte von und nach Asien. Die Reedereien ihrerseits stehen unter Zugzwang, die Entwicklung zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Im Gegensatz zu den Bestrebungen Russlands fehlt den Anrainerstaaten der Nordwestpassage die gemeinsame Linie. Kanada und die USA haben sich bislang nicht auf die juristischen Grundlagen ihrer Eismeerpassage geeinigt, zudem fehlen den Ländern Eisbrecher und Infrastruktur.

Trotz Eisschmelze ist die Reise nicht unproblematisch

Obgleich die Testfahrt der Venta Maersk einen Meilenstein für die kommende Nutzung der Nordwestpassage markiert – schwierig bleibt der Weg dennoch. Bei den arktischen Temperaturen wird Stahl spröde, Schmieröl fest und Gummi zerbröselt. Bei Nebel müssen die Aufbauten der Schiffe per Hand enteist werden.

Die russische Verwaltung der nördlichen Seewege behält sich nicht nur vor, die Route festzulegen, sondern auch zu entscheiden, ob der Einsatz von Eisbrechern nötig ist. Letztere stammen ausnahmslos von russischen Reedereien. Gemeinsam mit dem Entgelt für die Nutzung der Nordostpassage summieren sich die Kosten für die Reederei schnell auf 6-stellige Dollar-Beträge. Den gesparten Treibstoff gegengerechnet, ergibt sich im Vergleich zur Route durch den Suezkanal dennoch ein finanzieller Vorteil. Dem entgegen steht der aktuell noch immense bürokratische Aufwand, der einer Passage vorausgeht. Muss ein Schiff tagelang warten, bis die Durchfahrt genehmigt ist, löst sich der wirtschaftliche Vorzug prompt auf.