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Mehr Container – weniger CO2

Ein Schweizer Start-up filtert Kohlendioxid aus der Luft – Schiffscontainer sind Teil der Anlage

40 Grad im August, 18 Grad im November – das Jahr 2018 demonstriert mit Rekordtemperaturen die realen Folgen des Klimawandels. Das arktische Eis schmolz im vergangenen Winter erstmals so weit ab, dass große Reedereien die Nord-Ost-Passage als dauerhafte Abkürzung zwischen Europa und Asien in Erwägung ziehen. Was kurzfristig wirtschaftliche Vorteile verspricht, bedroht langfristig unseren menschlichen Lebensraum. Da die durch Landwirtschaft, Verkehr und Industrie ausgestoßenen CO2-Mengen als Hauptursache des Klimawandels gelten, liegt es in unserer Hand, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren. Ein Schweizer Start-up-Unternehmen entwickelte zu diesem Zweck eine neue Filter-Technologie:

Technologie im Schiffscontainer – das Filtersystem von Climeworks

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Der Prototyp der Filteranlage steht im schweizerischen Ort Hinwil, 30 Kilometer östlich von Zürich. Insgesamt 18 Metallboxen, die Filter enthalten, und 3 Schiffscontainer mit Steuer- und Anlagetechnik gruppieren sich unter freiem Himmel zu einer dreistöckigen Wand.

Das Prinzip klingt simpel: Luft wird mit Ventilatoren durch chemische Filter geleitet, wobei Feuchtigkeit und Kohlendioxid darin zurückbleiben. Die zelluloseartige Matte im Innern des Filters absorbiert mit der Zeit das Kohlendioxid aus der Luft. Nach 3 Stunden wird das Material auf 100 Grad erhitzt, wobei sich das CO2 löst und in Gasflaschen abgefüllt werden kann. Die Energie zur Erwärmung des Filtermaterials bezieht die Anlage aus der Abwärme der lokalen Müllverbrennung.

Die aus den Filteranlagen herausströmende Luft weist im Ergebnis nur noch die Hälfte ihres vorherigen CO2-Gehalts auf. 900 Tonnen des Treibhausgases kann die Anlage von Climeworks im Jahr aus der Umgebung entfernen.

Die Konstruktionsweise ist flexibel und mobil: Die Filterboxen lassen sich modular zusammenbauen und erweitern – die dazugehörige Technik befindet sich in bequem transportablen ISO-Containern. Laut der Climeworks-Gründer macht gerade der mögliche Einsatz an beliebigen Zielorten den Reiz der Anlage aus: CO2 dort aus der Luft filtern zu können, wo das Gas später genutzt werden kann.

CO2 entfernen statt reduzieren

Bild: Climeworks

CO2, das aktiv aus der Atmosphäre gefiltert wird, nennen Wissenschaftler „negative Emissionen“. Parallel zu den Bestrebungen, die Industrie-Emissionen mithilfe von Emissionszertifikaten zu reduzieren, hat das Konzept der Negativemissionen in den vergangenen Jahren neue Technologien hervorgebracht. Eine Kombination beider Strategien könnte den Klimawandel deutlich bremsen.

Wohin mit dem Kohlendioxid?

Innovativ an der Technik von Climeworks ist, dass CO2 hier nicht nur neutralisiert wird, sondern anschließend in Flaschen gesammelt und für weitere Prozesse nutzbar gemacht wird. Die Anlage in Hinwil ist weltweit die erste, die Kohlendioxid im industriellen Maßstab aus der Luft abscheidet und an einen Kunden verkauft, stellt Christoph Gebald heraus; Geschäftsführer und Co-Gründer von Climeworks.

Im Fall des Prototyps ist der Kunde ein lokaler Gartenbaubetrieb, der das CO2 über Rohrleitungen in seine Gewächshäuser leitet. Der Ertrag von Gurken, Tomaten und kann auf diese Weise um bis zu 20 Prozent gesteigert werden, da die pflanzliche Photosynthese in einer CO2-reichen Umwelt effizienter abläuft. Was den Klimawandel anbelangt, bietet diese Verwendung keinen Vorteil – das CO2 wird wieder freigesetzt, wenn die pflanzliche Biomasse verrottet.

Climeworks-Gründer Jan Wurzbacher sieht die Abnehmer des gefilterten Kohlendioxids langfristig eher in der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie. Sie nutzt etwa zur Aufbereitung von Mineralwasser bislang CO2 aus der chemischen Industrie.

Darüber hinaus ist es durch eine Reaktion von Kohlendioxid und Wasserstoff möglich, synthetische Erdöle zu erzeugen, die als alternative Energiequelle zu fossilen Brennstoffen dienen könnten. Wenn die Energie, die zu ihrer Herstellung gebraucht wird, aus Ökostrom stammt, sind die Treibstoffe schlussendlich klimaneutral.

Forscherin Sabine Fuss vom Berliner MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) sieht diesen Plan jedoch kritisch: „Wird das Kohlendioxid aus der Atmosphäre genutzt, um künstliche Kraftstoffe herzustellen, trägt das zum Klimaschutz bei. Es führt aber nicht unbedingt zu negativen Emissionen.“ Dazu müsse man CO2 dauerhaft aus dem Klimakreislauf abscheiden und in den Untergrund pressen; etwa in ehemalige Erdgaslagerstätten.

Treibhausgase handeln für die Umwelt

CO2 in großem Stil aus unserer Atmosphäre zu filtern, folgt demnach nicht nur dem Nachhaltigkeitskonzept, sondern soll auch wirtschaftliche Perspektiven bieten.

Bislang mangelt es dem Geschäftsmodell jedoch an profitablen Perspektiven: In Zukunft werden Kunden gebraucht, die einen adäquaten Preis für das gefilterte CO2 zahlen. Mit rund 600 Euro pro Tonne ist das Gas aus der Climeworks-Anlage allerdings wesentlich teurer als das durch die Chemieindustrie produzierte Kohlendioxid. Ein Emissionszertifikat, das zum Ausstoß einer Tonne CO2 berechtigt, kostet sogar nur rund 5 Euro.

Die Climeworks-Betreiber setzen einerseits auf die Rationalisierung ihrer Methode, andererseits darauf, dass CO2-Emissionen in Zukunft wesentlich teurer werden. Mit diesem Geschäftsmodell konnte das Start-up jüngst Investoren überzeugen, sich mit über 30 Millionen Euro in die Weiterentwicklung einzubringen.

Viele Container für ein besseres Klima

An der erforderlichen Menge von Schiffscontainern sollte der Bau von Filteranlagen im großen Stil nicht scheitern. Nach Auskunft von Climeworks wären insgesamt 750.000 Container-Filter-Anlagen nötig, um den jährlichen CO2-Ausstoß um 1 Prozent zu senken. Die Zahl flößt im erstem Moment Respekt ein – sie entspricht jedoch lediglich der Menge von Containern, die der Shanghaier Hafen in nur einer Woche umschlägt.